Der Sennestadtverein

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November 2006: Leitartikel zum Jahresende 2006

Am Ende eines Jahres hat man in einem Leitartikel die Möglichkeit, zurückzublicken und die Ereignisse der vergangenen Monate zu beurteilen, oder einen Ausblick in die nächste Zukunft zu versuchen. Letzteres ist erwiesenermaßen schwierig, weil bei allen Aussagen über die Zukunft wir an die Auswertung von Langzeiterfahrungen auf unterschiedlichen Gebieten gebunden sind. Aus der vergleichenden Untersuchung von Entwicklungen in der Vergangenheit schließen wir auf ähnliche Entwicklungen in der Zukunft.

Für Sennestadt bedeutet das, dass wir Trends der Vergangenheit und Gegenwart betrachten müssen, um Vorstellungen von der Zukunft unseres Stadtbezirks zu entwickeln. Über die demografischen Fakten wurde schon wiederholt geschrieben. Sennestadt unterscheidet sich in diesem Punkt nur graduell von allen anderen Städten.

Bedeutsamer sind die Änderungen in der Zahl der am Ort Beschäftigten und der Wechsel im Image der Sennestadt als Wohnort. Nach Aussagen der Bielefelder Statistik hat die Anzahl der Personen, die in Sennestadt wohnen und auch in dortigen Betrieben beschäftigt sind, schneller abgenommen als die Zahl der betrieblichen Arbeitsplätze insgesamt. Man kann bei Fortschreibung dieses Trends absehen, wann Sennestadt den Charakter einer "Schlafstadt" annimmt. Merkmal einer Schlafstadt ist, dass die Bevölkerung den wesentlichen Teil ihrer Aktivitäten außerhalb des Stadtbezirks wahrnimmt. Dieses Verhalten hat unmittelbare Auswirkungen auf den Handel und die Kultur- und Freizeitangebote.

Zusammen mit dieser problematischen Entwicklung geht der Verlust des anfangs vorhandenen positiven Images unseres Stadtbezirks. Während die in Sennestadt wohnende Bevölkerung der Wohnqualität und besonders der landschaftlichen Lage gute Noten gibt, ist der Blick von außen auf Sennestadt viel negativer. Nur zehn von hundert Bürgerinnen und Bürgern wollen bei einem Wohnungswechsel innerhalb Bielefelds nach Sennestadt ziehen.

Prof. Hans Bernhard Reichow, Bronzebüste von Bernhard Heiliger 1976, Sennestadthaus, Flur im 1. Obergeschoss
Bauwillige hatten bis vor kurzem sowieso keine Möglichkeit, in Sennestadt ein Grundstück zu finden. Fragt man nach den Gründen, so wird zwar häufig die schlechte Verkehrsanbindung genannt, doch muss man anerkennen, dass die Stadtwerke inzwischen viel zur Verbesserung der Lage getan haben.

Offensichtlich liegen die Gründe für diesen Imageverlust in der Konservierung des Bildes der Pionierstadt aus den 50er Jahren:

  • Das Prinzip der Nachbarschaften funktioniert nicht mehr durchgängig.
  • Fußläufige Einkaufszentren, die als Kommunikationspunkte wirken könnten, sind bis auf wenige Reste verschwunden.
  • Ein wirkliches Zentrum ist durch den Bau des Reichowplatzes nicht entstanden.
  • Die Bewohner der einzelnen Quartiere haben in der Regel keine Tradition in der Durchführung von Straßen- oder Quartierfesten aufbauen können.
  • Ebenso erwiesen sich zentrale Feste (Sennestadtfest, Sennestädter Herbst, Weihnachtsmarkt) als kaum lebensfähig. 

Die erhebliche Zahl von Neubürgerinnen und Neubürgern konnte in den letzten Jahrzehnten nicht in die vorhandenen Strukturen eingegliedert werden, weil sie in der Regel nicht an einem Sennestädter Gemeinschaftsleben interessiert waren und sind. Deutlich wird daran, dass die in den Anfangsjahren vorhandene Assimilationskraft der Gründergeneration nachgelassen hat. Will man dem negativen Trend entgegentreten, so muss man die vorhandenen Ressourcen des Stadtbezirks aktivieren.

Da sind an erster Stelle die vielen Vereine und die Kirchen zu nennen.

Die meisten Vereine klagen über Nachwuchsmangel. Hier ist eine intensive Mitgliederwerbung zu betreiben, wodurch nicht nur der Fortbestand des Vereins gesichert, sondern auch der Zusammenhalt unserer Bürgerschaft gestärkt wird. Begleitet werden sollte diese Kampagne durch eine häufige und positive Darstellung der Vereinsarbeit in der Presse und anderen Medien. Dadurch wird die Außensicht auf Sennestadt verbessert. Schließlich kommt es darauf an, dass möglichst viele Vereinsmitglieder zu den Veranstaltungen ihres Vereins - idealer Weise auch zu denen anderer Vereine - kommen. Das signalisiert Interesse und Anteilnahme und bestärkt die Veranstalter bei ihrer Vereinsarbeit.

Obwohl wir wissen, dass ein großer Teil unserer Bevölkerung sich nicht mehr langfristig binden möchte und wie in einem Warenhaus die Angebote der Gesellschaft nach kurzfristigen Interessen auswählt, sollten wir dennoch keine Mühe scheuen, immer wieder Angebote zu entwickeln, um die Bürgerinnen und Bürger langfristiger zu binden.

Gute Beispiele gaben in der letzten Zeit die großen Baugesellschaften (BGW, Freie Scholle, Sahle) durch Renovierung ihrer Wohnhäuser und die Organisation von Straßenfesten. Die Bewohner selber sollten diese Bemühungen aufgreifen, Nachbarschaftsfeste organisieren, vermehrt Gelegenheiten zur Kommunikation schaffen und so der Vereinzelung der Menschen entgegentreten. Vielleicht lassen sich in einzelnen Quartieren in geeigneten freien Gebäuden kleine Gesellschaftszentren aufbauen. Eine Reihe guter Ideen sollte wieder aufgegriffen werden, wie

  • die Einrichtung eines Nachmittagskinos für unsere Senioren,
  • die Erweiterung des Angebots von Kurzfahrten zu interessanten Punkten in der näheren Umgebung,
  • die Intensivierung von volkstümlichen Unterhaltungsangeboten,
  • Übernahme von Patenschaften für Verschönerungsprojekte in der Stadt.
  • Vor allem aber ist die Arbeit unserer Jugendeinrichtungen verstärkt zu unterstützen.

Hier könnten sich Bürgerinitiativen wirklich verdient machen.
Veränderungen im gesellschaftlichen Leben einer Großgemeinde vollzieht sich in langen Zeiträumen. Leider werden negative Trends in der Regel zu spät an den unerwünschten Ergebnissen sichtbar. Wir sollten daher jetzt in eine Diskussion über die Zukunft Sennestadts eintreten, bevor wir "eingeschlafen" sind. Ich bin überzeugt, dass wir in Sennestadt dieser Gefahr entgehen können.


Diese Seite wurde zuletzt am  22. Januar 2008   aktualisiert
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